Es ist mal wieder Gamescom, am 23. August geht’s los – und ich werde dort sein. Allerdings nicht vollgepumpt mit Adrenalin und Glücksgefühlen, sondern im Gegenteil: geradezu wehmütig.
Seit 2009 begrüßt die Spielemesse in ihren Kölner Hallen Fans und Freund*innen aus der ganzen Welt, um sie nach kurzer Taschenkontrolle im Eingangsbereich in muffige Hallen zu stopfen, auf überlange Warteschlangen zu verteilen, die Musik bis auf Anschlag hochzudrehen und dann zu brüllen: Na, habt ihr alle Spaß???
Verzeiht, wenn durch diese Zeilen eine Portion Überdruss herausklingt – ich kann das erklären.
Früher war nicht alles besser, aber die Gamescom schon
Traditionell hatten die Gamescom und ihre Vorgängerveranstaltung, die Games Convention in Leipzig, vor allem einen Existenzsinn: zu informieren. Oder schöner gesagt: neue Spiele anzukündigen, sie erstmals zu zeigen, anspiel- und fassbar zu machen. So brachte diese Veranstaltung Jahr für Jahr gleichermaßen Fachpresse, Spieleentwickler*innen und Fans auf einem riesigen Messegelände zusammen, die sich dann auf Spiele und Ankündigungen stürzen durften.
Das, was man hier auf der Messe sah, würde erst Wochen später in Zeitschriften und Fachmagazinen auftauchen. Manchmal vielleicht auch schon am späten Abend im Netz, wenn sich Online-Redakteur*innen ins Zeug gelegt haben. Wer vor Ort war, durfte zuerst sehen, staunen, ausprobieren und sich austauschen.
Es war für Fans und für Journalist*innen eine spannende Zeit, in der Interviewtermine selbst mit den wichtigsten Branchenköpfen auch mal spontan zwischen den Hallen passieren konnten, und in der beim Feierabendbier so manches Industriegeheimnis durchsickerte. Heute hat sich all das verändert – und das nicht zum Vorteil für Journalist*innen und Fans.
Die Gamescom ist zum einem shareable happening geworden: Vielen scheint die Instagram-Story mit riesigen Warteschlangen oder einem sexy Cosplayer mittlerweile mehr wert zu sein als das eigentliche Erleben der Messe. Wenn man sie überhaupt erreichen kann, denn in dem dieses Jahr dürfte die Anreise wegen der zeitlich spektakulär abgestimmten Großbaustellen der spannendste Teil werden. Und wenn man die Messehallen endlich erreicht hat, betritt man eine laute, pulsierende Welt, die zwar nach wie vor Fans zusammenbringen kann – aber sonst fast jeden Sinn verloren hat.
Die wenigen großen Fachaussteller, die dieses Jahr noch die Gamescom mit ihren Ständen beehren, zeigen vor allem längst bekannte Spiele. Neue Trailer unterdessen werden schon seit Jahren online enthüllt. Dennoch kämpfen Fans und Presse auf der Gamescom um Sitzplätze bei einer der Präsentationen, die fließbandartig organisiert und abgefertigt werden. Exklusiv sind hier aber nur die Schweißperlen, die im Gemenge vergossen werden.
Wissen, wohin man schauen muss
Nein, um mit Gleichgesinnten exklusive Neuigkeiten als erstes zu erfahren – für mich jahrelange der wichtigste Besuchsgrund der Gamescom – hat diese Messe leider längst ausgedient. Und trotzdem gibt es noch immer gute Gründe, diese Veranstaltung tatsächlich vor Ort zu besuchen. Wenn man weiß, wohin man schauen muss.
Hier gilt es vor allem die Indie Arena Booth zu nennen. Dort kommen nun schon seit einigen Jahren mit einem stetig wachsenden Stand die schönsten, interessantesten, originellsten Indie-Spiele zusammen. Es sind Spiele, die traditionell mit nur wenig Budget, aber viel Inspiration zusammengebastelt wurden.
Wobei, „gebastelt“ ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn die Qualität der über 100 Titel, die auch dieses Jahr hier aus der ganzen Welt kommend ausgestellt werden, dürfte erneut überragend sein. Ebenso wie die Diversität der Auswahl: Internationale Preisträger*innen reihen sich an frisch abgeschlossene Studierendenprojekte. Über sie wird weder in Zeitschriften noch Online-Fachmagazinen zu lesen sein – weil der Fokus der klassischen Spieleredaktionen leider noch immer fest auf die seelenlosen Bereiche der Messe gerichtet sind, die längst nichts Neues mehr zu zeigen haben.
Neben der Indie Arena Booth gibt es noch ein weiteres Bonbon, auf das ich hinweisen möchte: Eine Retro-Ecke, gerne versteckt am Rande der Messe. Sie wird von Enthusiast*innen der alten Schule bevölkert und liebevoll mit ihren Konsolen aus grauer Vorzeit befüllt. Hier können alte Spieleklassiker ausprobiert werden und man kann ganz nebenbei mit fachkundigen Dinosauriern des Mediums plaudern.
Traditionell herrscht dort eine sehr willkommen heißende Stimmung. Es ist ein Gefühl, das man auf der Gamescom manchmal suchen muss – aber das sich noch immer finden lässt, wenn man den in die Jahre gekommenen Unterhaltungskoloss auch im Jahr 2023 noch besuchen möchte.
Die Fixierung auf Trailer und den Kulturpessimismus im Bezug auf Instagram kann ich so nicht nachvollziehen, auch wenn ich zu den älteren Semestern gehöre. Die Teilnahme per Stream an den Shows von IGN oder damals noch Nintendo ist sogar ein großes Plus im Vergleich zu früher. Inklusiv eben, und am Strom der Zeit.
Braucht es Archäologen, damit Gamer mit FOSS und freien Lizenzen Freude haben können?
True, seit ich kein Pinkes Bändchen (Presse) mehr bekomme, gehe ich nicht mehr hin. Selbst der Presse und Fachbesuchertag ist ab Mittags so voll, das man als Presse kaum noch die Möglichkeit hatte sich in Ruhe umzusehen. Und „Normal Besucher“, naja 1-2 Schlangen am Tag schafft man vielleicht, ansonsten die Gamescom besser zum Pflegen Sozialer Kontakte nutzen, als zum Antesten neuer Spiele. Ansonsten geht mal sehr enttäuscht wieder nach Hause.
Ich stimme dem vollständig zu.
Große Player der Branche wie Blizzard oder Sony sind ja nicht mal mehr vertreten, stattdessen gibt es einen riesen Stand von Netflix. Und natürlich viele Mobile Games, aber nichts Neues, nichts wo man zu hinfiebert vom Inhalt her (egal ob Game Release oder Expansion Trailer).
„Früher war nicht alles besser, aber die Gamescom schon“ ist daher tatsächlich angemessen. Das gilt übrigens auch für den Gamescom Congress! Als der vor etlichen Jahren anfing, gab es dort tatsächlich kritische Impulse und nicht nur vor allem Kreisgespräche von Lobbyisten.
Die IndiArea ist aber tatsächlich wieder sehr gut gewesen.